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Normaler Verschleiß als Kfz-Sachmangel?

Verschleiß oder Mangel? Diese Frage stellt sich oft beim Auftreten von Funktionsfehlern an Gebrauchtwagen. Bislang war diese Frage von elementarer Bedeutung für etwaige Sachmängelhaftungsansprüche des Gebrauchtwagenkäufers als Verbraucher bei Kauf von einem Händler. Eine aktuelle höchstrichterliche Entscheidung verschafft nun mehr Klarheit:

Der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 09.09.2020 – VIII ZR 150/18) hat entschieden, dass auch ganz normaler Verschleiß einen Sachmangel darstellen kann, wenn durch die Verschleißerscheinungen die Verkehrssicherheit beeinträchtigt wird.

Im entschiedenen Fall ging es um Korrosion an der Auspuffanlage eines Peugeot 307 CC. Dieser war bei Übergabe an die Klägerin (die Verbraucherin ist und den Gebrauchtwagen bei einem gewerblichen Fahrzeughändler gekauft hat, sonst greifen in aller Regel entsprechende vertragliche Haftungsausschlüsse) über neun Jahre alt und 84.820 km gelaufen. Korrosion am Auspuff war zu diesem Zeitpunkt unzweifelhaft vorhanden. Sie blieb jedoch bei der Hauptuntersuchung drei Tage vor Übergabe ohne Beanstandung. Verkauft wurde der Wagen mit der Vereinbarung „TÜV/AU neu“. Noch inner­halb der Sechsmonatsfrist für die Beweislastumkehr des § 477 BGB rügte die Klä­gerin eine starke Geräuschentwicklung am Auspuff. Damit wäre der Händler nun beweisbelastet dafür gewesen, dass das Fahrzeug bei der Übergabe völlig in Ordnung war, was fast nie gelingt. Daraufhin führte der Händler kostenlos Schweißarbeiten am Mittelschall- und am Endschall­dämpfer durch. Angeblich aus reiner Kulanz, nicht als Pflicht aus der Sachmängelhaftung. Der Händler war der Auffassung, dass es sich nur um „normalen“ Verschleiß und Abnutzung handele und er nicht zur Sachmängelhaftung verpflichtet sei. Die Klägerin war mit dem Ergebnis der unsachgemäßen Schweißarbeiten nicht zufrieden. Sie erklärte den Rücktritt vom Kauf. In sämtlichen drei Instanzen blieb sie damit ohne Erfolg.

Prozess verloren, aber …

Anders als die Vorinstanzen hat der BGH schon die Grundvoraussetzung für das Ein­greifen der Beweislastumkehr verneint, nämlich den Nachweis, dass sich innerhalb der Sechsmonatsfrist ein „mangelhafter Zustand“ gezeigt hat. Mit der fristgerecht gerügten starken Geräuschentwicklung der Auspuffanlage sei der Beweis eines „mangelhaften Zustands“ nicht erbracht. Selbst wenn der Auspuff an der einen oder anderen Stelle durchgerostet gewesen sein sollte, wäre dies nichts anderes als „normaler“ Verschleiß. Dafür hafte der Verkäufer eines Gebrauchtfahrzeugs nicht, solange die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigt sei. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Verkehrs­sicherheit infolge der Korrosionserscheinungen beeinträchtigt gewesen sei, seien nicht festgestellt.

Die entscheidende Weiche stellt der BGH also bereits bei der Frage. ob die Beweisvermutung überhaupt eingreift. „Mangel­hafter Zustand“ bzw. „Mangelerscheinung“ ist der Punkt, um den sich nun alles drehen wird. Wenn der BGH als Vermutungsbasis einen „mangelhaften Zustand“ bzw. eine „Mangelerscheinung“ verlangt, dann meint er eine handfeste, vom Verbraucher zu beweisende Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit. Abwesenheit von „normalem“ Verschleiß wird mangels entgegenstehender Vereinbarung je nach Alter. Laufleistung und Qualitätsstufe nicht geschuldet. Was aber selbst bei einem älteren Gebrauchtwagen mit hoher Laufleistung auch ohne Abreden wie „TÜV neu“ oder „fahrbereit“ geschuldet wird. das ist Verkehrssicherheit als Grundbe­dingung der vertraglich vorausgesetzten bzw. gewöhnlichen Verwendung. Ist also die Verkehrssicherheit beeinträchtigt, kann auch normaler Verschleiß ein Sachmangel bzw. ein „mangelhafter Zustand“ sein.

Auf die Verkehrssicherheit kommt es nun also an


In den Fokus werden nun die Fol­gen von „normalem“ Verschleiß, Korrosion und Alterung rücken. Die Jahrzehnte lang gültige Formel „Normaler Verschleiß ist kein Mangel“ gehört so der Vergangenheit an. Zu fragen ist. ob die Verkehrssicherheit beeinträchtigt ist. Aufgehoben muss sie nicht sein. Es genügt eine Minderung.


Die Verkehrssicherheit kann auch durch „normalen“ Verschleiß an Fahrzeug­teilen beeinträchtigt sein. die anders als z. B. Bremsleitungen nicht unmittelbar sicherheitsrelevant sind. Dazu gehört die Auspuffanlage. Wenn die Aufhängung so stark korrodiert ist, dass der daran befestigte Schalldämpfer auf die Straße zu fallen droht, ist die Verkehrs­sicherheit beeinträchtigt. Damit ist ein Sachmangel bzw. ein „mangelhafter Zustand“ zu bejahen.

Wenn man also keine einschlägige Beschaffenheits­vereinbarung wie „TÜV neu“ ins Feld führen kann und auch kein Fall von übermäßigem Verschleiß nachweisbar ist, dann muss das Augenmerk des Sachverständigen und des Gerichts auf die Frage gelenkt werden, ob die Verkehrssicherheit beein­trächtigt ist. Damit eröffnet sich ein neues Feld für die Rückabwicklung misslungener Gebrauchtwagenkäufe. Das sollte man im Blick behalten und sich im Zweifel an einen Fachanwalt für Verkehrsrecht wenden.

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