BGH arbeitet Zahlungspflicht der Versicherer klar heraus
vom 5. Februar 2013 hat der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt, dass ein Unfallgeschädigter für die notwendige Reparatur- bzw. Wiederbeschaffungsdauer zuzüglich der Zeit für die Schadenfeststellung und gegebenenfalls einer angemessenen Überlegungszeit Anspruch auf den Ersatz des Nutzungsausfalls hat. Dieser Anspruch bestehe unabhängig von der Tatsache, dass der Geschädigte im fraglichen Zeitraum auf ein anderes Fahrzeug kostenfrei hätte zugreifen können. Auch die durch die Einlagerung des Unfallfahrzeugs entstandenen Aufwendungen (Standkosten) seien durch die gegnerische Seite zu übernehmen (AZ: VI ZR 363/11).
Im verhandelten Fall hatte der Kläger am 20.12.2009 unverschuldet einen Verkehrsunfall erlitten, welchen der Versicherungsnehmer der Beklagten mit seinem Fahrzeug verursacht hatte. Die Eintrittspflichtigkeit der Beklagten dem Grunde nach stand fest. Das Fahrzeug war nach dem Unfall nicht mehr fahrbereit und nicht mehr verkehrssicher (die Scheiben waren zerbrochen). Nach Sicherstellung durch die Polizei wurde das Fahrzeug zunächst bis zum 22.12.2009 dort untergestellt; am 22.12.2009 wurde es in eine Werkstatt geschleppt und dort zur Begutachtung und Schadenfeststellung durch einen Sachverständigen belassen.
Die Beauftragung des Sachverständigen erfolgte durch den Kläger am 23.12.2009. Das vom Sachverständigenbüro erstellte Gutachten erreichte den Kläger am 04.01.2010 oder 05.01.2010. Das Sachverständigengutachten ermittelte als Netto-Reparaturkosten 9.786,94 Euro, was Bruttoreparaturkosten von 11.643,04 Euro entspricht. Den Wiederbeschaffungswert gab der Gutachter mit brutto 30.000 Euro an, den Restwert mit 12.600 Euro.
Der Kläger veräußerte sein unrepariertes Fahrzeug. Der Kläger erwarb unter dem 07.01.2010 ein Ersatzfahrzeug. Die beklagte Haftpflichtversicherung regulierte den Fahrzeugschaden auf Basis der Nettoreparaturkosten.
Der Kläger begehrte Nutzungsausfall bis einschließlich 15.01.2010 mit der Begründung, dass ab dem Zugang des Gutachtens am Montag, den 04.01.2010 auch bei fiktiver Abrechnung der Reparaturkosten durch Einberechnung in einen Wiederbeschaffungsbetrag die im Gutachten geschätzte Reparaturdauer von acht Werktagen hinzuzurechnen ist, sodass bei acht Tagen zzgl. Wochenende die Nutzungsentschädigung bis einschließlich 15.01.2010 zu zahlen ist.
Die gegnerische Haftpflichtversicherung regulierte nur Nutzungsausfall bis einschließlich 05.01.2010. Des Weiteren bezahlte die gegnerische Haftpflichtversicherung nur einen Teil der Standgebühren. Der Kläger machte demgemäß weitere zehn Tage Nutzungsausfall á 59 Euro, insgesamt also 590 Euro sowie restliche Standgebühren für die Unterstellung in einer Werkstatt in Höhe von 71,39 Euro geltend.
Im Einzelnen führten die BGH-Richter Folgendes aus:
1. Nutzungsausfall
Der BGH sah die weiteren zehn Tage als gerechtfertigt an und führte hierzu wörtlich aus:
„a) Nach den tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger für eine zügige Regulierung des Unfalls unter Berücksichtigung der Weihnachtstage und des Jahreswechsels das Erforderliche getan.
Der Anspruch auf Ersatz des Nutzungsausfalls besteht für die erforderliche Ausfallzeit, d. h. für die notwendige Reparatur- bzw. Wiederbeschaffungsdauer zuzüglich der Zeit für die Schadensfeststellung und gegebenenfalls einer angemessenen Überlegungszeit (vgl. Jahnke in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. Aufl., § 249 BGB Rn. 167 ff. mwN.) Die vom Berufungsgericht angenommene Ausfallzeit bis zum 15. Januar 2010 ist angesichts der getroffenen Feststellungen im Hinblick auf die Feiertage zu Weihnachten und zum Jahreswechsel und die Wochenenden sowie des erst Anfang Januar zugänglichen schriftlichen Gutachtens nicht zu beanstanden.
Die Revision zeigt nicht Parteivortrag auf, wonach das Ersatzfahrzeug dem Kläger – abweichend von der von ihm behaupteten Ausfallzeit – bereits früher zur Verfügung stand. Dem Vortrag der Beklagte, auf den die Revision verweist, lässt sich auch nicht entnehmen, dass für den Kläger die mündlichen Ausführungen des Sachverständigen am 23. Dezember 2009 eine ausreichend sichere Beurteilungsgrundlage bildeten, die ihn hätten veranlassen müssen, auch ohne schriftliches Gutachten die Entscheidung darüber zu treffen, ob ein Reparaturauftrag zu erteilen oder ein Ersatzfahrzeug anzuschaffen war.
b) Dass, wie die Revision geltend macht, der Kläger die Möglichkeit hatte, zur Überbrückung des Fahrzeugausfalls kostenfrei auf das Fahrzeug seines Vaters zuzugreifen, beseitigt den eingetretenen Schaden nicht. Nach dem Rechtsgedanken des § 843 Abs. 4 BGB wird der Schädiger nicht durch eine (freiwillige) Leistung Dritter entlastet, die ihm nach dem Sinn der schadensrechtlichen Vorschriften nicht zugute kommen soll. Dies gilt auch für den Nutzungsausfallschaden (vgl. Senatsurteile vom 17. März 1970 – VI ZR 108/68, NJW 1970, 1120, 1122; vom 19. November 1974 – VI ZR 197/73, VersR 1975, 261, 262; OLG Koblenz, Schaden-Praxis 2012, 259 f.; Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearb. 2005, § 251 Rn. 80 f.). Insofern ist die Senatsrechtsprechung, wonach Nutzungsausfall für ein beschädigtes Kraftfahrzeug nicht fordern kann, wer (selbst) über mindestens ein zweites derzeit ungenutztes Fahrzeug verfügt, dessen ersatzweiser Einsatz ihm zuzumuten ist (Senatsurteil vom 14. Oktober 1975 – VI ZR 255/74, NJW 1976, 286), nicht einschlägig (vgl. Senatsurteil vom 19. November 1974 – VI ZR 197/73, aaO).“
Insoweit stellt der BGH auf den Zugang des schriftlichen Gutachtens ab und lässt es nicht ausreichen, wenn der Sachverständige vorab mündliche Ausführungen macht, da der BGH diese nicht als ausreichend sichere Beurteilungsgrundlage im Rahmen der Dispositionsfreiheit des Geschädigten ansieht.
Interessanterweise führt der BGH auch aus, dass die Möglichkeit, zur Überbrückung des Fahrzeugausfalls auf ein anderes Fahrzeug zuzugreifen, den eingetretenen Schaden nicht beseitigt, da der Schädiger nach dem Rechtsgedanken des § 843 Abs. 4 BGB nicht durch eine (freiwillige) Leistung Dritter entlastet wird, die ihm nach dem Sinn der schadenrechtlichen Vorschriften nicht zugute kommen soll.
Der BGH stellt klar, dass es hier nicht um den Fall geht, dass der Geschädigte über ein zweites – während der Ausfalldauer ungenutztes – Fahrzeug verfügt, dessen ersatzweiser Einsatz ihm zuzumuten ist, sondern dass sich hier ein anderer Sachverhalt darstellt, wenn Dritte ein Fahrzeug kostenfrei zur Verfügung stellen.
2. Standkosten
In diesem speziellen Fall sieht der BGH auch weitere Standkosten als gerechtfertigt an, da ein Fahrzeug mit zerstörten Scheiben nicht irgendwo auf der Straße abgestellt werden kann, sondern untergestellt werden muss. Er führt hierzu wörtlich aus:
„Mit Recht stellt das Berufungsgericht darauf ab, dass ein nicht mehr fahrbereites Kraftfahrzeug mit zerstörten Scheiben nicht irgendwo auf der Straße abgestellt werden kann, sondern untergestellt werden muss. Das sichere Unterstellen in einer Kfz-Werkstatt ist eine nahe liegende und angemessene Maßnahme. Die dafür anfallenden Kosten sind erstattungsfähig. Dass sie diejenigen übersteigen, die für eine gewerbliche Abstellmöglichkeit, etwa in einem Parkhaus, angefallen wären, hat die für eine Verletzung der Schadensminderungspflicht (§ 254 BGB) darlegungs- und beweispflichtige Beklagte auch mit der Revision nicht konkret vorgetragen.
Entgegen den Ausführungen der Revision ist es nicht Sache des Klägers, insoweit Ermittlungen anzustellen und deren Ergebnis vorzutragen. Der Zeitraum des Verbleibs des Fahrzeugs ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts angesichts der Feiertage zu Weinachten und zum Jahreswechsel und der Wochenenden sowie des erst Anfang Januar zugänglichen schriftlichen Gutachtens nicht zu beanstanden.“
Bedeutung für die Praxis
Die Urteilsbegründung zu den Voraussetzungen und der Dauer von Nutzungsausfall- und Standkostenansprüchen kann nahezu als Musterschriftsatz mit entsprechender Rechtsprechung und Literaturmeinung herangezogen und an gegnerische Haftpflichtversicherer verschickt werden, wenn diese entsprechende Einwendungen – vor allem zur Dauer des Nutzungsausfalles und überhaupt zu Standkosten – erheben. Es handelt sich, da der BGH relativ selten über diese beiden Fragen entscheidet, um ein sehr praxisrelevantes Urteil!