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Annahmeverzug oder berechtigte Zurückweisung der Arbeitsleistung?

Muss der Arbeitgeber kriminelles Verhalten des Arbeitnehmers befürchten, führt die Zurückweisung der Arbeitsleistung nicht zum Annahmeverzug: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.04.2014, 5 AZR 736/11

24.07.2014. Spricht der Arbeitgeber eine unwirksame Kündigung aus und nimmt die Arbeitsleistung zu Unrecht nicht entgegen, muss er den Lohn trotz unterbliebener Arbeitsleistung zahlen, denn er befindet sich im Annahmeverzug.

Dieser Anspruch auf Annahmeverzugslohn besteht allerdings in seltenen Ausnahmefällen nicht.

Ist dem Arbeitgeber nicht zuzumuten, die Arbeitsleistung anzunehmen, z.B. weil er kriminelles Verhalten des Arbeitnehmers befürchten müsste, muss er keinen Annahmeverzugslohn zahlen, so das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem aktuellen Fall: BAG, Urteil vom 16.04.2014, 5 AZR 736/11. 

Hier das Urteil des BUNDESARBEITSGERICHT vom 16.4.2014, 5 AZR 736/11
Parallelentscheidung zum Urteil des Gerichts vom 16.04.2014, 5 AZR 739/11.

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 12. April 2011 – 19 Sa 1963/10 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

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Die Parteien streiten über die Feststellung von Vergütungsansprüchen wegen Annahmeverzugs zur Insolvenztabelle.

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Der am 31. Januar 1950 geborene, ledige Kläger war seit 1977 als kaufmännischer Angestellter bei der ursprünglichen Beklagten beschäftigt, über deren Vermögen am 1. Februar 2013 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Schuldnerin stellte Transportgeräte her. Bei ihr waren etwa 55 Arbeitnehmer beschäftigt. Der Kläger war zuletzt als Leiter Buchhaltung/Finanzen/Personal tätig. Ihm wurde am 24. Juli 1981 Prokura erteilt, die bis zum 7. Juni 2006 bestand. Das Bruttogrundgehalt des Klägers betrug zuletzt 5.749,75 Euro monatlich.

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Im Jahr 2003 stellte die Schuldnerin fest, dass der Kläger durch mehrere Handlungen einen Betrag iHv. mindestens 280.568,95 Euro brutto aus ihrem Vermögen an sich gebracht hatte. Der Kläger gestand die Taten ein und gab diesbezüglich am 4. März 2003 ein notarielles Schuldanerkenntnis ab. Er ermächtigte die Schuldnerin, den jeweils pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens einzubehalten und auf ihre Schadensersatzforderung zu verrechnen. Der Kläger wurde in der Folgezeit weiterbeschäftigt. Die Kontovollmacht blieb bestehen. Doch ließ sich die Schuldnerin einen Großteil der vom Kläger erteilten Anweisungen vorlegen.

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Am 5. April 2007 wurde der Schuldnerin ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss über 48.900,00 Euro zugestellt, mit dem das Arbeitseinkommen des Klägers wegen einer Forderung der Sparkasse Herford gepfändet wurde. Daraufhin strebte die Schuldnerin den Abschluss eines Aufhebungsvertrags an. Nachdem der Kläger ein entsprechendes Angebot abgelehnt hatte, stellte die Schuldnerin den Kläger von der Arbeit frei. Nachforschungen bei Kreditinstituten ergaben, dass der Kläger nach Abgabe des notariellen Schuldanerkenntnisses weitere Beträge auf sein eigenes Konto überwiesen hatte. Mit Schreiben vom 10. Mai 2007 kündigte die Schuldnerin das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos sowie vorsorglich fristgerecht. Gegen diese Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage, die unter Hinweis auf eine fehlerhafte Anhörung des Betriebsrats erfolgreich war (LAG Hamm 30. Oktober 2008 – 16 Sa 559/08 -).

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Nach Ausspruch der Kündigung im Mai 2007 stellte die Schuldnerin weitere unberechtigte Überweisungen auf ein Konto des Klägers fest. Sie kündigte mit Schreiben vom 15. August 2007 erneut fristlos. Auch diese Kündigung wurde zweitinstanzlich durch das Landesarbeitsgericht Hamm mit Urteil vom 30. Oktober 2008 (- 16 Sa 560/08 -) wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats für unwirksam erklärt. Der in diesem Verfahren geltend gemachte Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung wurde in beiden Instanzen abgewiesen, weil der Schuldnerin aufgrund der erheblichen Straftaten des Klägers eine tatsächliche Beschäftigung nicht zuzumuten sei.

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Die Schuldnerin erstattete am 29. Juni 2007 Strafanzeige gegen den Kläger. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld erhob unter dem 21. Mai 2008 Anklage vor dem Amtsgericht Bielefeld. Darin wurden dem Kläger 74 Taten zum Nachteil der Schuldnerin zur Last gelegt. Mit Beschluss vom 18. November 2008 ließ das Amtsgericht Bielefeld die Anklage der Staatsanwaltschaft zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren gegen den Kläger. Mit Schreiben vom 25. November 2008 kündigte die Schuldnerin das Arbeitsverhältnis erneut außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht. Der gegen diese Kündigung gerichteten Klage wurde vom Landesarbeitsgericht Hamm (- 5 Sa 1076/09 -) mit der Begründung stattgegeben, die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht eingehalten worden und der Kläger sei ordentlich unkündbar.

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Am 24. August 2009 wurde der Kläger wegen Untreue zum Nachteil der Schuldnerin in 67 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt. Daraufhin kündigte die Schuldnerin mit Schreiben vom 22. September 2009 das Arbeitsverhältnis des Klägers erneut fristlos. Das Strafurteil wurde vom Landgericht Bielefeld dahingehend abgeändert, dass die Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die gegen die Kündigung vom 22. September 2009 gerichtete Kündigungsschutzklage wurde durch Urteil vom Landesarbeitsgericht Hamm abgewiesen (12. April 2011 – 19 Sa 1951/10 -). Die dagegen vom Kläger eingelegte Revision wurde vom Bundesarbeitsgericht am 22. November 2012 zurückgewiesen (- 2 AZR 732/11 -).

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Mit der am 24. Februar 2009 eingereichten, mehrfach erweiterten Klage hat der Kläger Lohnansprüche für den Zeitraum November 2008 bis September 2009 geltend gemacht. Er hat die Ansicht vertreten, die Schuldnerin sei mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug geraten.

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Der Kläger hat zuletzt – neben weiteren Hilfsanträgen – sinngemäß beantragt festzustellen,

dass dem Kläger für November 2008 8.979,98 Euro, für Juni 2009 9.957,44 Euro und für die weiteren Kalendermonate des Zeitraums Dezember 2008 bis September 2009 jeweils 5.817,62 Euro brutto zustehen, die in Höhe des Arbeitslosengelds auf die Bundesagentur für Arbeit und in Höhe des pfändbaren Betrags auf die Schuldnerin übergegangen sind.

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Die Schuldnerin hat beantragt, die Klage abzuweisen, und dazu geltend gemacht, aufgrund der schwerwiegenden Pflichtverletzungen des Klägers sei ihr jede Lohnzahlung unzumutbar. Unter Berücksichtigung des bereits im Jahr 2003 abgegebenen Schuldanerkenntnisses und der Fortsetzung schwerwiegender Untreuehandlungen liege ein Extremfall vor, der die Lohnzahlungsverpflichtung entfallen lasse. Für die Zeit nach dem 22. September 2009 scheide jeder Vergütungsanspruch aus, weil die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtskräftig feststehe.

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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision hat der Kläger zunächst seine zuletzt gestellten Anträge weiterverfolgt. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Kläger die streitgegenständlichen Vergütungsansprüche zur Tabelle angemeldet. Der Insolvenzverwalter hat diese bestritten. Mit dem gegen den Insolvenzverwalter aufgenommenen Rechtsstreit begehrt der Kläger die Feststellung seiner Forderungen zur Tabelle. Der Revisionsbeklagte wendet doppelte Rechtshängigkeit ein. Der Kläger habe mit seiner am 9. Mai 2013 beim Arbeitsgericht Bielefeld eingereichten Klage die im vorliegenden Verfahren streitigen Ansprüche erneut rechtshängig gemacht.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist unbegründet. Die erhobenen Ansprüche auf Vergütung wegen Annahmeverzugs stehen dem Kläger nicht zu, weil der Schuldnerin die Beschäftigung des Klägers unzumutbar war.

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I. Die gestellten Anträge sind zulässig.

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Es mag zwar sein, dass durch die vom Kläger beim Arbeitsgericht unter dem 9. Mai 2013 eingereichte Feststellungsklage doppelte Rechtshängigkeit eingetreten ist, doch betrifft diese die Zulässigkeit des zweiten beim Arbeitsgericht anhängigen Rechtsstreits.

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II. Die Klage ist mit den noch anhängigen Anträgen unbegründet. Dem Kläger stehen die erhobenen Insolvenzforderungen nicht zu. Vergütungsansprüche des Klägers wegen Annahmeverzugs (§ 615 Satz 1 BGB) sind im Zeitraum November 2008 bis 22. September 2009 nicht entstanden. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, der Schuldnerin sei in dieser Zeit nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) die Annahme der Arbeitsleistung unzumutbar gewesen. In der Zeit vom 22. bis zum 30. September 2009 bestand kein Arbeitsverhältnis mehr.

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1. Ein Arbeitgeber kommt trotz Nichtannahme der Arbeitsleistung nicht in Annahmeverzug, wenn sich der Arbeitnehmer so verhält, dass der Arbeitgeber nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des Arbeitslebens die Annahme der Leistung zu Recht ablehnt. Dies kann der Fall sein, wenn bei Annahme der angebotenen Dienste strafrechtlich geschützte Interessen des Arbeitgebers, seiner Angehörigen oder anderer Betriebsangehöriger unmittelbar und nachhaltig so gefährdet werden, dass die Abwehr dieser Gefährdung Vorrang vor dem Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Verdienstes haben muss. Es ist auf die objektive Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Arbeitnehmers abzustellen; Verschulden ist nicht erforderlich. Wann ein solcher Fall vorliegt, hängt von den jeweiligen konkreten Umständen ab. Dabei sind die Gepflogenheiten des Arbeitslebens zu berücksichtigen. Nicht jede in der Erregung gesprochene Beleidigung des Arbeitgebers, nicht jedes böse Wort, nicht jede Robustheit des Arbeitnehmers lässt das Leistungsangebot treuwidrig und seine Ablehnung durch den Arbeitgeber gerechtfertigt erscheinen. Ort und Zeit des Vorfalls sowie das Betriebsklima spielen für die Beurteilung dieser Frage eine erhebliche Rolle. Es muss ein ungewöhnlich schwerer Verstoß gegen allgemeine Verhaltenspflichten vorliegen, der den Arbeitgeber schlechterdings berechtigt, die Dienste abzulehnen (BAG GS 26. April 1956 – GS 1/56 – BAGE 3, 66; dem folgend 11. November 1976 – 2 AZR 457/75 – zu B II 2 a der Gründe, BAGE 28, 233; 29. Oktober 1987 – 2 AZR 144/87 – zu A III 2 der Gründe; 14. September 1988 – 5 AZR 616/87 – zu II 2 der Gründe; 1. Juli 1993 – 2 AZR 88/93 – zu II 3 der Gründe; im Ergebnis ebenso ErfK/Preis 14. Aufl. § 615 BGB Rn. 62 f.; HWK/Krause 5. Aufl. § 615 BGB Rn. 66 f.; MüArbR/Boewer 3. Aufl. Bd. 1 § 69 Rn. 26 Fn. 208; Konzen/Weber Anm. AP BGB § 615 Nr. 42).

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2. Der Begriff der „Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, sodass die Rechtsanwendung des Berufungsgerichts revisionsrechtlich nur beschränkt überprüfbar ist. Eine revisionsrechtlich erhebliche Rechtsverletzung liegt allein dann vor, wenn der Rechtsbegriff selbst verkannt worden ist oder wenn bei der Unterordnung des festgestellten Sachverhalts unter diesen Rechtsbegriff Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt oder bei der gebotenen Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt worden sind oder das Ergebnis in sich widersprüchlich ist.

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3. Das Ergebnis des Landesarbeitsgerichts ist danach nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat – im Anschluss an richtige Erwägungen des Arbeitsgerichts – zutreffend erkannt, dass es im Fall des Klägers nicht um ein einmaliges Delikt der Untreue zulasten der Arbeitgeberin geht, sondern der Kläger über Jahre hinweg immer wieder mit großem Bedacht verdeckt diverse Straftaten zum Nachteil seiner Vertragspartnerin begangen hat. Da der Kläger nach Aufdeckung dieser Taten und Abgabe des notariellen Schuldanerkenntnisses sein gesetz- und vertragswidriges Verhalten nicht änderte, vielmehr weiterhin unter täuschendem Deckmantel Untreuehandlungen von erheblichem wirtschaftlichen Gewicht zum Nachteil der Arbeitgeberin beging, ließ er jede Einsicht in das für einen Leiter Buchhaltung/Finanzen/Personal gebotene Mindestmaß vertragsgemäßen Verhaltens vermissen. Jeder Tag einer weiteren Beschäftigung bedeutete die nicht unerhebliche Gefährdung des Kontostands und damit des Vermögens der Arbeitgeberin. Gerade unter Beachtung des Gebots von Treu und Glauben durfte der Kläger alles, aber nicht mehr über Vermögen der Arbeitgeberin verfügen.

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4. Damit war die Schuldnerin während des streitbefangenen Zeitraums nicht zur Zahlung der vertraglichen Vergütung verpflichtet.

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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.